Bericht vom Straubinger Tagblatt vom 26. März 2022
Autor: Monika Schneider-Stranninger
In zwei Wochen hebt sich im Theater am Hagen der Premierenvorhang für die jüngste Großproduktion der Crazy Musical Company: „Anatevka“. Auf deren Homepage zählt eine Uhr rückwärts, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden bis dahin. Die Hauptrolle – Tevje, der Milchmann – spielt Gregory Charamsa, gebürtiger Wiener und seit langem in Straubing daheim. Anatevka? Wenn sein Gegenüber gerade nicht weiß, was er damit anfangen kann, was bei diesem Musical-Klassiker allerdings selten genug ist, dann bedient selbst Gregory Charamsa das Klischee und stimmt kurz einen echten Gassenhauer an: „Wenn ich einmal reich wär…“ Dann fällt der Groschen.
„Ich wusste nicht wirklich, was da an Zeitaufwand auf mich zukommt“ – das sagte Gregory Charamsa 2013, als er für die Figur des „Fagin“, eine Hauptrolle in „Oliver“, dem ersten Musical der Crazy Musical Company, zugesagt hatte. Und es war ein enormer Zeitaufwand – über Monate hinweg. Jetzt hat er wieder zugesagt – für eine vielleicht sogar noch forderndere Hauptrolle, für Tevje, den Milchmann, in „Anatevka“ im zehnten Jahr des Bestehens der Crazy Musical Company. Und nebenbei wird geprobt unter Corona-Bedingungen. Mit vielen Tests und Maskenpflicht.
Vor allem wurde die Produktion eingeholt von der Realität des russischen Überfalls auf die Ukraine. „Anatevka“ habe erschreckende Aktualität erfahren, sagt Charamsa. Denn in dem Musical ist der Einfall zaristischer Horden thematisiert, die 1905 marodierend durchs Land zogen und Leid und Zerstörung hinterließen.
Neun Jahre ist „Oliver“ her. „Ich habe ihn jetzt nicht mehr gespürt, den Aufwand von damals“, sagt Gregory Charamsa und lacht. Erfolgreich verdrängt. Ein großer Erfolg war „Oliver“ obendrein. Seine Zusage war deshalb spontan, als der musikalische Leiter Martin Wutz ihn angesprochen hat. Es hat ihn gereizt. Die Rolle gefällt ihm.
Dabei mag Gregory Charamsa nichts weniger als nicht mehr Herr seines Tagesablaufs zu sein. Und vor allem, wenn dieser an Wochenenden vor 11 oder noch lieber 12 Uhr früh beginnt, bekennt er verschmitzt. Das war seine Mindestforderung, die Proben betreffend. Es werde immerhin erst nach zehn Uhr begonnen, dann aber gleich für mehrere Stunden, erzählt er. Und das neben seinem normalen Pensum. „Ich habe seit zweieinhalb Monaten eine Sieben-Tage-Woche“, sagt er. Er unterrichtet Schlagzeug, an mehreren Gymnasien und Musikschulen in der Region. Er mag das, Musik und den seelischen Zugang zu Musik zu vermitteln, das sei ein großes Glück. „Dafür muss man selber brennen“. Und das tut Gregory Charamsa. Alles Andere, geplante Musikprojekte zum Teil mit Kollegen, seien zurzeit „auf Stand-by“, sagt er.
Zwischen all seinen Engagements und Alltagsbeschäftigungen, im Auto, auf dem Fahrrad oder zu Fuß, hörte er die vergangenen Monate die Textpassagen aus „Anatevka“ per Kopfhörer. Immer wieder. So prägt er sie sich am liebsten ein. „Ich lerne gerne auswendig“, sagt er, am liebsten Gedichte von Robert Gernhardt. Eine gute Übung, auch für die Musik, sagt Charamsa. Noch vor dem Schauspiel kommt bei ihm sein Dasein als (studierter) Musiker, als Schlagzeuger. Das Theater liebt er seit der Schulzeit. Schauspiel habe er aber nie im Zusammenhang mit Broterwerb gedacht, „das war mir fremd“. Musiker hat es dagegen in der Familie in mehreren Generationen gegeben. „Das kannte ich.“
Er sei gerne sein eigener Regisseur, sagt er. „Ein Einzeltäter, aber teamfähig“, so beschreibt er sich selber. Mit Andreas Wiedermann, der Regie führt und akzentuiert den Blick von außen einbringt, klappe die Zusammenarbeit sehr gut.
Er ist froh, dass er die „unglaublich beschwerliche Anfangsphase“ hinter sich hat. Tevje sei praktisch pausenlos auf der Bühne präsent, „das heißt Text bis zum Abwinken“. Jetzt müsse er über den Text nicht mehr nachdenken. Er hat ihn intus. „Jetzt spiele ich“. Es gehe ja darum, glaubhaft zu sein, „dass mir die Leute das abnehmen“. Von Tevje hat er eine klare Vorstellung, sagt er, denn jiddische Menschen kennt er aus seiner Kindheit und Jugend in Wien. „Den Text habe ich mir deshalb mundgerecht gemacht – so wie diese Menschen wirklich sprechen.“ Er will dieses Bild umsetzen. Gerade auch den speziellen jiddischen Witz.
Mit „Anatevka“ verbindet Gregory Charamsa lange zurückliegende Erinnerungen. Schöne Erinnerungen. Von Besuchen mit dem Vater als Kind im Theater an der Wien in den siebziger Jahren. Da hat er „Anatevka“ zum ersten Mal gesehen – mit Ivan Rebroff als Tevje.
Lampenfieber? Das kenne er nicht, sagt Charamsa, seit er als Fünfjähriger mit dem Vater auf der Bühne stand und die zweite Stimme sang. Astrein. „Ich fühle mich auf der Bühne einfach wohl.“